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Evangelium zu Himmelfahrt

Bittet von Herzen

Johannes 16, 24 – 33, 21. Mai 2020 in der Übersetzung von Tom Tritschel

Bittet aus dem Herzen so wird eurem Herzen gege-ben, damit eure Freude sich erfülle.

Das alles habe ich in Bildern zu euch gesprochen. Aber es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern zu euch sprechen werde. Dann werde ich offen und unmittelbar vom Vater zu euch sprechen. An jenem Tage werdet ihr in meinem Namen bit-ten. Und ich werde den Vater nicht mehr bitten für euch. Denn der Vater selbst liebt euch, weil ihr mich geliebt und weil ihr geglaubt habt, dass ich vom Vater komme. Ich bin hervorgegangen aus dem Vater und gekommen in diese Welt. Und nun verlasse ich die irdische Welt wieder und gehe zum Vater.

Da sprachen seine Jünger: Siehe, jetzt sprichst du offen und unverhüllt und sprichst nicht mehr in Bildern. Jetzt erkennen wir, dass vor dir alles offen-bar ist. Und du bedarfst nicht, dass jemand dich fragt. Und so vertrauen wir, dass du vom Vater kommst.

Und Jesus antwortete: Ihr meint, dass ihr jetzt den Glauben habet? Siehe, es kommt die Zeit, und sie ist schon gekommen, da ihr alle auseinandergetrie-ben werdet, ein jeder in sein Eigensein. Dann wer-det auch ihr mich allein lassen. Aber ich bin nicht allein, sondern der Vater ist immer bei mir. Diese Worte habe ich zu euch gesprochen, damit ihr in mir den Frieden findet. In der Welt habt ihr Angst, aber fasset Mut: Ich habe die Welt überwunden.


Apostelgeschichte 1, 3 – 12

in der Übersetzung von Johannes Lauten

Vierzig Tage lang weilte der Herr sichtbar im Kreise der Jünger, denen er sich nach seinem Todesleiden in vielen Zeichen als der Lebendige erwiesen hatte und sprach zu ihnen vom Gottesreich. Und so, ganz mit ihnen verbunden, wies er sie an: Entfernt euch nicht aus Jerusalem. Erwartet hier die Erfüllung des-sen, was ich euch vom Vater verkündete. Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Hei-ligen Geist getauft werden. Bis zu dieser Zeit wer-den nicht viele tage vergehen.

Da fragten ihn, die versammelt waren, und spra-chen: Herr, errichtest du in dieser Zeit auch das Kö-nigtum Israel wieder? Er sprach zu ihnen: Nicht an euch ist es, die Zeit und ihre Erfüllung zu kennen, die der Vater in der ihm eigenen Allmacht bestimmt hat. Doch ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, die sich auf euch hernieder senkt, und so werdet ihr meine Werke weiterführen in Jerusa-lem und in ganz Judäa. Und über Samarien hinaus bis an die äußersten Grenzen der Erde.

Nach diesen Worten wurde er vor ihren Augen em-porgehoben, und eine Wolke entzog ihn ihren Bli-cken. Und wie sie unverwandt dem Scheidenden nach zum Himmel schauten, siehe, da standen zwei Männer bei ihnen in leuchtend weißen Gewändern, die sprachen : Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und blickt zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel erhoben ward, er wird kommen in derselben Art, wie ihr ihn jetzt dem Himmel sich verbinden saht.

Da verließen sie den Berg, den man den Ölberg nennt und der, einen Sabbatweg entfernt, nahe bei Jerusalem liegt, und kehrten in die Stadt zurück.

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Ich bin der Weg

Johannes 14, 1 – 31, 10. Mai 2020 in der Übersetzung von Johannes Lauten

Und er wandte sich an seine Jünger und sprach: Nicht schwach soll werden euer Herz. Bauet auf die Kraft, die euch zu dem väterlichen Weltengrunde und die euch zu mir führt. In dem Hause meines Vaters ist Lebensraum für viele. Wäre es nicht so, ich hätte zu euch gesagt, dass ich hingehen will, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingegangen bin und die Stätte für euch bereitet habe, so will ich von neuem zu euch kommen und euch aufnehmen bei mir, damit ihr seid, wo ich bin. Und wohin ich jetzt gehe, meinen Weg, den kennt ihr.

Thomas sprach zu ihm: Herr, wir durchschauen nicht, wohin du gehst; wie sollen wir den Weg wissen? Jesus antwortete ihm: Ich bin der Weg. Ich bin die Wahrheit. Ich bin das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich. Wenn ihr erfahren hättet die Kraft meines Wesens in euch selbst, so hättet ihr den Vater erkannt. Von nun an erkennt ihr ihn, denn ihr habt ihn mit Augen gesehen.

Da sprach Philippus zu ihm: Herr, lasse uns sichtbar werden den Vater; das wird unserer Seele genügen. Und Jesus sprach zu ihm: So lange Zeit bin ich nun bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater. Wie kannst du sagen: Lasse uns sichtbar werden den Vater? Gründet sich dein Vertrauen nicht in der Tatsache: Ich im Vater – der Vater in mir? Die Worte, die ich zu euch spreche, die spreche ich nicht aus mir selbst; der Vater, unverbrüchlich mir verbunden, vollbringt in ihnen seine Werke. Erhebt euch zu der Gewissheit: Ich im Vater – der Vater in mir. Wenn ihr das nicht vermögt, dann vertrauet den Werken. Amen, die Wahrheit sage ich euch: Wer sich im Vertrauen mit mir verbindet, der wird die Werke auch vollbringen, welche ich tue, und er wird größere Werke vollbringen; denn ich gehe zum Vater. Und was ihr bitten werdet in der Kraft meines Namens, das will ich vollbringen, damit geoffenbart werde das Sein des Vaters in dem Wirken des Sohnes. Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich vollbringen.

Wenn ihr mich wahrhaft liebt, so werdet ihr meine Geistesziele in euch bewahren, und ich will den Vater bitten, dass er euch einen neuen Geistesführer sende, der bei euch bleibe durch alle Zeiten: den Geist der Wahrheit. Ihn kann die Welt nicht aufnehmen, denn die Menschen der Erde sehen ihn nicht und erkennen ihn nicht; ihr aber erkennt ihn, denn wer wird bei euch bleiben und in euch wirken. Ich will euch nicht als Waisenkinder zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist jetzt nur noch eine kurze Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen; ihr aber werdet mich schauen, denn ich lebe, und in die Reiche des Lebendigen sollt ihr euch erheben. An jenem Tage werdet ihr erkennen: Ich im Vater – ihr in mir – ich in euch. Wer mich wahrhaft liebt, der wird meine Geistesziele in sich bewahren und sie in seinem Erdenwirken vollbringen. Ihn wird mein Vater aufnehmen in seine Liebe, und auch ich will ihn lieben und in ihm wohnen als eine Lichtgestalt.

Da sprach Judas, nicht der Iskariot, zu ihm: Herr, was ist geschehen, dass du dich uns offenbaren willst in deiner Lichtgestalt und nicht den Erdenmenschen? Da antwortete Jesus und sprach zu ihm: Wer mich wahrhaft liebt, offenbaret meinen Geist, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm zubereiten eine Stätte des ewigen Überdauerns. Wer mich nicht liebt, kann auch mein Wort nicht in sich bewahren, denn das Wort, das ihr vernehmt, ist nicht aus mir; es geht hervor aus dem Vater, der mich gesandt hat. Dies habe ich zu euch geredet, während ich noch bei euch gewesen bin. Der Tröster aber, der heilig reine Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, er wird euch alles lehren, dessen ihr bedürft, und er wird in eurem Innern erwecken alles, was ich jemals zu euch geredet habe.

Frieden schenke ich euch; meinen Frieden gebe ich euch. Und ich gebe euch meinen Frieden nicht, wie die Welt etwas schenkt. Nicht schwach soll werden euer Herz und nicht furchtsam. Ihr habt gehört, dass ich zu euch sprach: Nun gehe ich dahin, und ich komme zu euch. Würdet ihr mich wahrhaft lieben, so würdet ihr frohlocken, dass ich sagte: Ich gehe zum Vater. Denn der Vatergott ist grösser, als ich bin. Und nun habe ich es euch gesagt, bevor es geschieht, damit, wenn es dann geschehen wird, ihr von ganzem Herzen glauben möget. Es ist nicht mehr vieles, was ich jetzt noch mit euch reden werde; denn es naht der widerrechtliche Fürst dieser Welt; doch an meinem Wesen hat er keinen Anteil, und er hat keinen Anspruch an mich. Die Welt soll durchschauen, wie ich den Vater liebe und wie ich handle im Sinne des väterlichen Weltengrundes. So ist es mir auferlegt. Tuet solches desgleichen, dann können wir ruhig diesen Ort verlassen.

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Geschichte für den fünften Ostersonntag

von Georg Dreißig

Ruths Tapetentür

Ruth ist sieben Jahre alt, aber weil ihre Arme und Beine nicht so stark sind wie die Arme und Beine von anderen Kindern, muss sie viel im Bett liegen oder im Rollstuhl sitzen. Deshalb kommt sie auch nicht so leicht aus ihrem Zimmer heraus. Dennoch erzählt sie euch immer wieder, dass sie eben einen Spaziergang gemacht habe. Wo war sie denn, und wer hat ihren Rollstuhl für sie geschoben? Wenn ihr euch in Ruths Zimmer etwas genauer umschaut, bemerkt ihr, dass jemand etwas an ihre Wand gemalt hat: Mit einem schwarzen Stift hat er etwas schief und nicht besonders schön ein ziemlich hohes Viereck gezeichnet. Ruth macht es nichts aus, dass das Viereck nicht so hübsch geworden ist, denn für sie ist es gar keine Zeichnung, sondern eine Tür.

 »Das ist meine Tapetentür«, erklärt euch Ruth, »mein Pate hat sie für mich dorthin gemalt, dass ich hinausgehen kann, wann immer ich will, und auch jederzeit Besuch empfangen kann.«

Ei, werdet ihr vielleicht denken, durch eine Tür, die einfach nur auf die Wand gezeichnet ist, kann man doch nicht hindurchgehen. Wo soll man denn da eine Klinke herunterdrücken und wie die Tür aufstoßen? Wenn ihr es selbst versucht, wird es euch auch kaum gelingen. Nein, so geht es natürlich nicht. Ruth aber hat gelernt, wie es geht. Sie hat lange Zeit, wenn sie im Bett lag, einfach auf ihre Tapetentür geschaut und sich ausgedacht, was dahinter liegen mag. Da hat sie vor sich ein schönes Land gesehen mit Wiesen und Blumen, mit vielerlei Tieren und einem Bächlein – eine ganz wunderschöne Landschaft. Allmählich ist sie mutiger geworden. Da hat sie in der Landschaft eines Tages ein Mädchen getroffen, das ein wenig aussieht wie sie selbst. Aber das Mädchen kann laufen und sogar auf Bäume klettern, es kann auf einem Pferd reiten oder, wenn es will, auf einem Reh, und es kennt viele geheime Stellen, wo sie schöne Dinge finden können, die da verborgen sind: besondere Blumen oder Edelsteine.

Außerdem hat das Mädchen Flügel, und wenn Ruth mit ihm zusammen ist, dann hat auch Ruth Flügel, und dann können sie beide über das schöne Land fliegen oder auch hinauf zu dem Schloss, in dem das andere Mädchen wohnt. Wundert es euch, dass das andere Mädchen auch Ruth heißt? »Die andere Ruth« nennt Ruth sie. Es gibt so etwas. Seht ihr, so hat Ruth allmählich gelernt, durch die Tapetentür des Paten hindurchzugehen, und wenn sie gerade keine Lust hatte, in jenes andere Land zu verreisen, dann hat sie doch gewusst, dass es da ist und sie jederzeit dorthin gehen kann, wenn sie will. Da hat sie sich in ihrem Rollstuhl nicht mehr so allein gefühlt. Wenn es ihr aber schlecht ging – und das kam immer wieder einmal vor –, dann hat sie manchmal gehört, wie die Tür leise von der anderen Seite geöffnet wurde, und dann wusste sie: Jetzt ist »die andere Ruth« zu mir gekommen. Sie brauchte die Augen dafür gar nicht zu öffnen; sie merkte auch so, dass die andere mit ihren großen Flügeln da war, dass sie neben ihrem Bett stand, einfach so, um da zu sein, damit Ruth nicht allein wäre. Dann war das Kind getröstet, und am nächsten Tag ging es im schon wieder viel besser. Meint ihr immer noch, dass eine Tür nicht zu öffnen sei, wenn sie nur mit einem Stift auf eine Wand gemalt ist? Ei, man muss nur lernen, wie man eine solche Tür öffnet, dann geht es schon. Ruth jedenfalls ist froh, dass sie diese Tür hat, durch die sie zur »anderen Ruth« gehen und jene zu ihr kommen kann. Fragt euren Paten, wenn er euch wieder einmal besucht, ob er euch nicht auch eine solche Tür schenken kann und euch lehren, wie man sie öffnet!

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Geschichte für den vierten Ostersonntag

von Georg Dreißig

Warum der Schmetterling die Blüten so gern hat

Eine Raupe hatte sich fleißig von einem grünen Blatt der Brennnessel zum nächsten emporgefressen, denn Blätterfressen, meinte sie, sei überhaupt das allerwichtigste im Leben. Jetzt stieg sie wieder ein Stückchen höher und wollte eben mit dem Schmaus beginnen, als sie auf einmal stutzte. Das Blatt, in das sie hatte beißen wollen, war gar nicht grün wie die anderen, sondern weiß.

Da hielt sich die Raupe mit den Hinterbeinen ordentlich am Stängel fest und beugte den Vorderkörper so weit ab, dass sie gut hinaufschauen konnte. Siehe da: Das weiße Blatt war tatsächlich ganz anders als alle, die sie sich bisher zu Gemüt geführt hatte. Es war viel feiner als die übrigen, und – es duftete ganz wundersam. »Gibt es denn so etwas?«, fragte die Raupe überrascht und vergaß vor lauter Staunen das Fressen. »Kann eins auf dieser Welt auf einmal so schön sein?« Manchmal sagen wir, wenn jemand tüchtig über irgendetwas nachdenkt: »Der spinnt.« Wisst ihr, woher das kommt? Es kommt von den Raupen. Wenn die ordentlich nachdenken, dann spinnen sie wirklich, spinnen einen dünnen, aber ganz kräftigen Faden, und je länger sie spinnen, umso mehr hüllen sie sich in diesen Faden ein. So tat es auch unsere Raupe nun. Sie spann und spann und hüllte sich in einen dünnen Faden. Nach einer Weile sah das Gespinst dann aus wie ein kleines Häuschen, allerdings ohne Fenster und Türen. Darin saß die Raupe und dachte immer noch über das, was sie gesehen hatte, nach. Allerdings wurde ihr Nachdenken über das Wunder, dass eine grüne Pflanze eine so wunderbar farbige und duftende Blüte haben kann, allmählich zu einem Traum. Die Raupe träumte, sie sei selbst eine solche farbige Blüte geworden und würde von der Luft leicht umhergeweht. Während die Raupe schlief und träumte, verwandelte sich das Häuschen, in das sie sich eingesponnen hatte: Es sah auf einmal so aus, als hätte jemand auf seine Wände große zusammengelegte

Flügel gezeichnet. Was das wohl wieder zu bedeuten hatte? Und dann kam der Tag, an dem das gesponnene Raupenhäuschen plötzlich einen Knacks bekam und begann, auseinanderzubrechen. Wenn ihr aber meint, nun hätte die Raupe ausgeträumt und käme heraus, um weiter zu fressen, dann irrt ihr euch ganz gewaltig. Aus dem zerbrochenen Raupenhäuschen kam ein Tier mit großen zusammengelegten Flügeln hervorgekrabbelt. Es öffnete die Flügel und ließ sie von der Sonne trocknen, und da sah es just so aus, als hätte sich dort eine große farbige Blüte entfaltet. Als die Flügel getrocknet waren, breitete das Tierlein sie aus und flog ins Sonnenlicht hinein. Wer war da erschienen? Der Schmetterling. Und der mag gar keine grünen Blätter mehr fressen wie damals, als er noch eine Raupe war. Er gaukelt von Blüte zu Blüte, denn er meint, dass auch diese alle Schmetterlinge seien. »Seid gegrüßt, Schwestern«, ruft er den Blüten zu, »kommt und fliegt mit mir in den Sonnenschein hinein. Es ist so ein wunderbar goldener Tag. Da sollte unsereiner nicht angewurzelt an seinem Platz hocken bleiben.« Ei, wie wundert er sich, dass keine der Blüten mit ihm fliegen mag! Ob sie nicht wissen, wie sie ihre schönen Flügel gebrauchen müssen? Immer wieder und wieder umgaukelt der Schmetterling sie darum und zeigt ihnen seinen schönsten Tanz. »Lasst uns in die Sonne fliegen«, ruft er ihnen dabei zu. Lauft nur und schaut ihm zu! Er wird nicht müde, die Blüten zu rufen, mit ihm zu fliegen.

Merkt ihr, wie sehr er sich verändert hat, seit er keine Raupe mehr ist?«

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Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!…

Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!…“
(Phil 4,4)

Freude ist ansteckend. Ganz egal auf welcher Ebene Freude zum Ausdruck kommt, Freude ist einfach ansteckend. Ich meine nicht zwangsläufig die Sorte Freude, die sich durch lautes Gelächter bemerkbar mach; ich meine vor allem auch die, die sich manchmal einstellt und ich weiss gar nicht warum. Die Freude, die innerlich gluckst, mich erhebt, mir den Mut gibt, alles entgegenzunehmen und alles loszulassen.

Die, die mich beschwingt und mir eine Art liebevoller Offenheit gegenüber der Welt schenkt. Die Freude über das, was genauso gut auch ärgerlich sein könnte.

Freude strahlt. Sie strahlt von innen heraus in die Welt, sie strahlt von Mensch zu Mensch. Sie löst auf, was sich verkrampft. Sie richtet auf.

Freude ist Begeisterung. Freude ist nicht bitter, nicht hämisch, sie ist herzhaft, schlicht und befreiend.

Freude verbindet und ermöglicht Begegnung. Aber nicht nur meine Begegnung mit dem anderen, auch die des anderen mit mir. Sie bewirkt Befreiung und Mut. Sie ist großzügig und wohlwollend. Manchmal ist Freude Glückseligkeit und manchmal ist Freude Liebe.

Freude beflügelt das Herz und lässt staunen. Sie lässt träumen, schwärmen und glauben. Sie ist der Grund, auf dem man über sich hinauswachsen kann. Sie verdient einen großen Raum, denn sie ist unverzichtbar. Sie ist nicht wegzudenken. Jeder Mensch braucht Freude in seinem Leben. Die Leichtigkeit des Seins.

Aber Freude ist nicht gegeben. Wir verlieren sie im Laufe unseres Ankommens, ohne es zu wollen. Ganz egal wo wir ankommen und in was wir ankommen: Immer besteht die Gefahr, dass wir dabei die Freude gerade an dem verlieren, mit dem wir umgehen. Und ja, ich weiß: es gibt bestimmt vieles, was sich zu pflegen lohnt. Aber die Freude ist einfach da und doch nicht für mich allein. Freude am Erkennen der Wahrheit, meine Freude am Dasein, sie strahlt aus und feiert Geburtstag. Freude ist ein Geschenk. „… dass eure Freude vollkommen werde!“ (Joh 15,11) – so soll es irgendwann sein. —

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Ich bin der wahre Weinstock

Johannes 15, 1 – 27, 3. Mai 2020 in der Übersetzung von Johannes Lauten

Ich bin der wahre Weinstock, mein Vater ist der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er hinweg, und jede die Frucht trägt, reinigt er, damit sie reichere Frucht erbringe. Ihr seid schon auf der Erde geläutert worden durch das Wort, dass ich zu euch sprach. Bleibet Treue bewahrend in mir, und ich bleibe in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so kann auch euer ewiges Wesen nicht reifen, wenn ihr nicht bleibet in mir. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer mein Wesen in sich bewahrt, in dem werde ich wirken, und er wird reiche Geistesfrucht erbringen; denn ohne mich vermögt ihr nichts. Wer mein Wesen nicht in sich bewahrt, wird vereinsamen und verdorren, wie eine Rebe, die abgeschnitten wurde. Man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und verbrennt sie. Wenn ihr mich in euch bewahrt und die Gedankenkräfte, die von mir ausgehen, euch erhalten bleiben, dann werdet ihr bitten können, was immer ihr wollt, und es wird euch gegeben werden. Darin erst wird mein Vater geoffenbart, dass ihr reiche Geistesfrucht erbringt und werdet so meine wahren Jünger. Wie mich der Vater in der Kraft seiner Liebe trägt, so bilde ich an eurer Geistgestalt mit der Kraft meiner Liebe. Bleibet in dieser meiner Liebe. Wenn ihr meine Geistesziele in euch lebendig erhaltet, dann bleibt ihr Treue bewahrend in meiner Liebe, so wie ich die Weltenziele meines Vaters in mir trage und bleibe in seiner Liebe.

Alle diese Worte habe ich zu euch gesprochen, auf dass meine Freude in euch wirke und eure Freude ihre Vollendung finde. Dies ist mein Geistesauftrag an euch: Liebet euch, einer den andern, so wie ich euch geliebt habe. Eine größere Liebe kann niemand haben, als das er sein Leben einsetzt für seine

Freunde. Meine Freunde seid ihr immer dann, wenn ihr meinen Willen in euer Handeln aufnehmt. Ich will euch nun nicht mehr Diener oder Knechte nennen, denn der Diener überschaut nicht, was sein Herr tut. Ich will euch Freunde nennen, denn alles, was ich vom Vater vernommen habe, das habe ich euch zur Erkenntnis übergeben. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch zu mir erwählt und habe euch bestimmt, den Erdenweg zu gehen und euer Schicksal zu vollenden; und die Schicksalsfrucht eures Erdenweges soll euch erhalten bleiben. Denn was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen das wird er euch geben. Dies sei euer Geistesziel auf Erden: Liebet euch, einer den andern.

Wenn die Welt euch hasst, so sollt ihr wissen, dass sie mich vor euch gehasst hat. Wäret ihr aus der Welt hervorgegangen, die Welt würde lieben was ihr angehört. Ihr aber stammt nicht von dieser Erde, seit ich euch aus dem Menschenreich zu mir erwählt habe. Darum hasst euch die Welt. Gedenket des Wortes, dass ich zu euch gesprochen habe: Ein Knecht ist nicht wichtiger als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, so werden auch euch verfolgen. Wenn sie mein Wort nicht in sich bewahrt haben, so werden sie auch euren Worten kein Gehör schenken, sondern in allem werden sie euch entgegen wirken um meines Ich-Wesens willen; denn sie kennen den nicht, der mich gesandt hat. Wäre ich nicht gekommen und hätte zu ihnen gesprochen, sie wären ohne Schuld. Nun aber können sie ihrer Schuld nicht ausweichen; denn wer mich hasst, der hasst auch meinen Vater. Hätte ich nicht die Werke getan in ihrer Mitte, welche nie ein anderer vollbringen konnte, sie hätten keine Schuld. Nun aber haben sie meine Taten mit Augen gesehen und dennoch mich und meinen Vater gehasst. So geht in Erfüllung das Wort, dass in ihrem Gesetzt geschrieben ist: „Ihr Hass gegen mich ist ohne Grund.“

Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater – der Geist der Wahrheit, der ausgeht vom Vatergott -, dann wird er mein Wesen offenbaren auf Erden, und auch ihr sollt aus meiner Kraft wirken, denn seit dem Urbeginne seid ihr verbunden mit mir.

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Blumenbildern aus dem Garten

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»… denn Leiden ist Versteck fürs Licht«

von Georg Dreißig

Manchmal hilft ein überraschendes Bild schneller. einen Zusammenhang zu verstehen, als es viele zutreffende Begriffe zu leisten vermögen. So ist es mir mit dem folgenden Gedicht von Nelly Sachs gegangen, als ich neuerlich über das Wesen des Menschen und seinen Anteil an Vergangenem einerseits und Zukünftigem andererseits rätselte. Die Dichterin schreibt:

»Und wickelt aus, als wären‘s Linnentücher, darin Geburt und Tod ist eingehüllt, Buchstabenleib, die Falterpuppe aus grüner, roter, weißer Finsternis, und wickelt wieder ein in Liebesleiden wie Mütter tun; denn Leiden ist Versteck fürs Licht.   Doch während er wie Sommer oder Winter handelt, schwebt schon Ersehntes, sehnsuchtsvoll verwandelt.«11

Gewiss, zunächst hat man Schwierigkeiten, überhaupt zu verstehen, was da zu einem gesagt worden ist. Man muss wieder und wieder verweilen, darf nicht an den einzelnen Wörtern vorbeihuschen, wie wir es gewöhnlich tun, wenn wir uns verständigen. Man muss sich Rechenschaft ablegen darüber, was man verstanden hat und was noch nicht. Versuchen wir das, dann bemerken wir, dass die Dichterin eine Tätigkeit beschreibt, die am »Buchstabenleib« vollzogen wird: Der »Buchstabenleib« wird ausgewickelt, und er wird wieder eingewickelt. Ausgewickelt wird er aus »Linnentüchern, die Geburt und Tod einhüllen«; sie nennt sie auch »grüne, rote, weiße Finsternis«. Eingewickelt wird er in »Liebesleiden«. Für dieses neuerliche Einwickeln wird sogar ein Grund angegeben; es heißt, es geschehe »wie Mütter tun; denn Leiden ist Versteck fürs Licht«. Der »Buchstabenleib« wird aus seinen Verhüllungen ausgewickelt und also anschaubar oder, dem verwendeten Bild entsprechender: Er wird lesbar. Den »Buchstabenleib« – wir suchen ihn im Grunde in allen Wahrnehmungen, die wir machen. Wir geben uns nicht mit dem reinen Sinneseindruck zufrieden, sondern wir wollen, was wir wahrnehmen, auch verstehen, wollen zumindest den Namen kennen dessen, was wir gesehen, gehört oder getastet haben. Wir wollen seine Gesetzmäßigkeiten ergründen, etwas über sein Warum, Woher und Wozu erfahren. Dem Sinnlichen wollen wir seinen Sinn ablesen; das Erscheinende soll uns das in ihm Verborgene enthüllen, wie der Buchstabe es tut: Er ist nicht nur wahrnehmbar, sondern er lässt sich zugleich lesen, d. h. er vermittelt uns mit der Wahrnehmung zugleich seinen Sinn. Als »Buchstabenleib« erscheint uns die sinnliche Welt im Ganzen und jede einzelne Erscheinung in ihr. Als »Buchstabenleib« betrachten wir uns insbesondere als Menschen, indem wir über den Sinn unseres eigenen Daseins rätseln. Wer von uns könnte sich schon mit der Tatsache, einfach Dasein zu haben, zufriedengeben, wenn er mit diesem Dasein nicht noch einen tieferen Sinn verbinden könnte!

Hinblickend auf den Menschen, wie wir ihn wahrnehmen können – am anderen oder an uns selbst –, hinblickend auf unsere eigene Erscheinung als einen  »Buchstabenleib«, werden wir durch das kleine Gedicht von Nelly Sachs angeregt zu bemerken: Der, nach dem du da fragst, den du verstehen willst, der ist verhüllt, und die Hülle verrät dir zunächst gar nicht, ob du auf Lebendiges oder Totes schaust. Um das festzustellen, muss man die Hüllen entfernen, die Hüllen, die da sind: »grüne, rote, weiße Finsternis«. Sinnen wir ein wenig darüber nach, was uns das Wesen des Menschen verhüllt. Im unmittelbaren Wahrnehmen sind es zunächst die Lebensattribute: Alter, Geschlecht, Volkszugehörigkeit u. a. Ich sehe eine ältere Dame, einen kleinen Jungen, einen Greis. Das ewige Menschenwesen ist darin verhüllt. Man kann die Attribute des konkreten Lebens einmal verstehen als die »grüne Finsternis«, die das Menschenwesen mit Lebensäußerungen umhüllt. Eine weitere Hülle ist in den vergangenen 100 Jahren immer wichtiger geworden dadurch, dass sich die Anschauung durchsetzte, der Mensch sei ein höheres Tier. Was im vergangenen Jahrhundert zunächst die vergleichende Anatomie festgestellt hat, das hat in unserem Jahrhundert die Verhaltensforschung zu bekräftigen gesucht, indem sie auch das Tun und Lassen des Menschen zurückgeführt hat auf bestimmte Verhaltensmuster im Tierreich. Der Mensch, der sich innerlich aufgerufen fühlt, sein Verhalten selbst zu bestimmen und zu verantworten, wurde da angebunden an Mechanismen, die über Jahrtausende hinweg eine bestimmte Art und Weise des Betragens begründet haben sollen. Das Freiheitsempfinden mag sich dagegen wehren, sich in unzulässiger Weise eingeengt fühlen. Das Wahrheitsempfinden wird aber beschämt anerkennen müssen, dass vieles von dem, was in der Verhaltensforschung vorgetragen wird, das eigene Verhalten tatsächlich beschreibt. Das Menschliche – nach Art der Tiere bestimmt und festgelegt. Diese Anschauung erkennt den Menschen von Seiten des Tieres, aber in dieser Hülle, in dieser »roten Finsternis«, erleidet das Menschenwesen letztlich den Tod, kann sich nicht frei entfalten. Wir sehen das Tote des Menschen, wenn wir auf das blicken, was ihn mit dem Tier verwandt macht. Ist nicht das Wesen des Menschen aus der Freiheit geboren? Sind wir nicht als Kinder des Himmels in dieses Erdenleben eingetreten, wohl wissend, welche Absicht, welches Ziel wir damit verfolgen? Ist nicht dies unser Adel, dass wir unsere Lebenskraft immer wieder erneuern dürfen aus jenem Hinblicken auf das Ziel? Wer wollte dem Gesagten nicht zustimmen! Dennoch gründet auch diese Aussage zunächst darauf, dass der Mensch verhüllt wahrgenommen wird, jetzt aber in »weißer Finsternis« verhüllt. Wir schauen nicht auf das gegenwärtige Menschenwesen, sondern auf das, was einmal werden will, was einmal die Kraft erlangen will, bewusst von seinem himmlischen Ziel her sein Leben zu führen. Was wir beschrieben haben, ist gar nicht das Menschenwesen selbst, sondern – sein Engel. Wie wir das Tier zurücklassen müssen, um wahrhaft Mensch sein zu können, so müssen wir uns den Engel erst noch zu eigen machen. In der Verhüllung aus »weißer Finsternis« birgt sich das noch Ungeborene des Menschen. So können wir, angeregt durch das Gedicht der Nelly Sachs, bemerken, dass wir das Wesen des Menschen erst verstehen, wenn wir es auswickeln aus seinen ganz unterschiedlich gearteten Verhüllungen. Dann können wir ihn begreifen in seinem gegenwärtigen Sein zwischen Tier und Engel. Wie aber mag es uns gelingen, uns den uns bindenden Kräften, die uns im Tierischen halten wollen, zu entringen und dem Engelwerden entgegenzuwachsen? Nelly Sachs sagt: indem wir wieder eingehüllt werden »in Liebesleiden«. Wir müssen das Wort »Liebesleiden« wohl noch einmal ganz neu verstehen, um ahnen zu können, wovon die Dichterin da spricht. Es dürfte ihr kaum um die Schmerzen einer romantischen Liebesbeziehung gehen, an die wir vielleicht zunächst mit diesem Begriff denken. Vielmehr findet hier eine Engführung von zwei ganz verschiedenen Dingen statt: von Liebe nämlich und von Leid. Liebe, die zugleich Leid ist, Leiden, das zugleich Liebe ist – davon spricht das Gedicht. In Leiden soll der »Buchstabenleib« eingehüllt werden, die ihrer Substanz nach Liebe sind. Und ein derartiges Eingewickelt-Werden soll ihm sogar zum Gedeihen gereichen; es ist ein mütterliches Tun, das so am Menschen vollzogen wird, um ihn seiner Geburt entgegenzuführen. Wir kennen das Leid heute fast nur von seiner unangenehmen, schmerzhaften Seite. Wir vermeiden es, oder wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt, verstecken wir es wenigstens – in Krankenhäusern und Altenheimen. Dort aber bildet sich eine esoterische Gemeinschaft, die die Tiefen des Leids ergründet und dadurch u. U. zu ganz anderen Erfahrungen kommt. Das Zeugnis einer so Erfahrenen sollen uns hier weiterhelfen. Anne-Marie Tausch, Professorin für Psychologie, hatte eben begonnen, ein Forschungsprojekt darüber durchzuführen, ob die Teilnahme an psychologischen Gesprächsgruppen Krebskranken helfen könnte, mit ihrer Krankheit besser fertig zu werden, als sie von ihrem Arzt erfuhr, dass sie selbst an Krebs erkrankt sei.22 Sogleich stellen sich auch bei ihr die allgemein mit dem Krebs verbundenen  Ängste ein. Eine Frage aber, die sie von einer Kollegin gestellt bekommt, eröffnet ihr die Möglichkeit, ihre Krankheit ganz neu wahrzunehmen. Die Frau rät ihr, einmal nicht auf den Krebs zu schauen, sondern zu fragen, »was mir mein Krebs bedeutet, was er mir bringt«. Anne-Marie Tausch bekennt: »Als erstes fiel mir nur ein: Krankheit und Schmerzen.« Aber einige Wochen gehen ins Land, die Frage wird immer wieder bewegt, und siehe da: allmählich stellt sich eine ganze Liste von Einsichten ein, die sie der Krankheit verdankt: z. B. »Kontakt zu meinem kranken Körper.« – „Die Krankheit gibt mir Zeit, darüber nachzudenken, was wichtig und was unwichtig in meinem Leben ist.« – »Schmerzgefühle als etwas Positives akzeptieren.« – »Leichteren Zugang zu kranken Menschen« u. a. Die angeregte Fragestellung eröffnet der Erkrankten ganz neue Wahrnehmungsmöglichkeiten für die eigene Krankheit, aber auch dank der eigenen Krankheit. Ähnlich ergeht es denen, mit denen Anne-Marie Tausch das Gespräch sucht. Eine Patientin wird mit der folgenden Aussage zitiert: »Diese Krankheit ist mir geschickt worden. Ich kann das jetzt aufrichtig sagen. Sie ist ein liebevolles Zeichen Gottes. Ich wäre nie so aufgerüttelt worden. Ich hätte mir nie Gedanken über den Sinn meines Lebens gemacht und mich hinterfragt: Wie lebe ich eigentlich? Was tue ich? Ich wäre nie darauf gekommen, dass die Liebe wirklich das allerwichtigste ist in unserem Leben…« Die ihr mitgeteilten Erfahrungen anderer Kranker fasst Anne-Marie Tausch so zusammen: »Viele fühlen sich ›aufgerüttelt‹, machen sich auf einen neuen Weg – auf einen Weg, der zu ihrem inneren Lebensraum führt… Manche bleiben ihr Leben lang verbittert, sterben verbittert. Andere gehen aus jeder Krisensituation innerlich heiler hervor, wachsen, füllen ihren inneren Lebensraum und sterben trotz körperlichen Verfalls seelisch heil und gesund. Diese Menschen haben rechtzeitig gespürt, dass sie es selbst sind, die sich verbittert und unzufrieden machen, und dass sie die Chance haben, innerlich zu wachsen und zu reifen.« Denen, die das Leid nicht mehr vermeiden können, die nicht umhinkönnen, es zu erfahren, erschließt sich ein Wahrnehmungsorgan, das ihnen erlaubt, in den Leiden – Liebe zu spüren, die sich ihnen zuwendet. Nun regt das Gedicht an, noch ein letztes Motiv zu besinnen. In den abschließenden Zeilen heißt es, dass »er… handelt«, und dass dadurch ein erst »Ersehntes« schon Dasein gewinnt: »… schwebt schon Ersehntes, sehnsuchtsvoll verwandelt«. Erst hier am Schluss wird deutlich: Es ist nicht nur etwas, das geschieht, es äußert sich darin auch jemand, der handelt. An wen können wir dabei denken? Wer handelt da? Für wen ist der zukünftige Mensch der »Ersehnte«? Wessen Sehnsucht wirkt wandelnd an unserem Wesen? Gewiss fragen wir jetzt nach dem Menschenbruder Christus, nach ihm, der das zukünftige Wesen des Menschen besser kennt als jeder andere. Wer hätte solche Sehnsucht nach ihm wie der, der sogar Leid und Tod auf sich nahm, um die Zukunft des Menschen zu bewahren – und der von daher auch die Bedeutung der Leiden im Leben tiefer bewerten, ja wertschätzen kann, als ein Mensch es vermag.

So kann das kurze Gedicht der Nelly Sachs uns anregen, zu ahnen, wie nah Christus uns in unserem Leben – auch in unserem Leiden – ist. Er selbst ist derjenige, der uns fragen lässt nach unserem gegenwärtigen ewigen Wesen, nach dem, das nicht identisch ist mit den Attributen dieser bestimmten Inkarnation, und der es uns unterscheiden lehrt sowohl vom Tier als auch vom Engel. Und wenn in uns selbst die Sehnsucht nach dem zukünftigen Menschen erwacht und wir in dieser Sehnsucht unser wahres Wesen besonders nahe fühlen – dann mag es seine Sehnsucht sein, die unsere Seele berührt und hellfühlend macht für unsere eigene Zukunft. Ihr leben wir entgegen, eingehüllt in seine Liebe (die allerdings als Leiden erscheinen kann), mit der er uns umgibt »wie Mütter tun«, dass in der Umhüllung solchen »Liebesleidens« unser Lichtwesen heranwachse; »denn Leiden ist Versteck fürs Licht« – für das Licht, das uns selbst zugedacht ist wie auch für das Licht, welches von seinem Wesen in unser Leben hereinstrahlt.

1 Nelly Sachs, »Fahrt ins Staublose. Die Gedichte der Nelly Sachs«, Frankfurt am Main 1961

2 Anne-Marie Tausch, »Gespräche gegen die Angst. Krankheit – ein Weg zum Leben«, Reinbek bei Hamburg 1981

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Geschichte für den dritten Ostersonntag

von Georg Dreißig

Wie weit genau es bis zum Himmel ist

»Nicht wahr, Großmutter, der Himmel ist ganz weit weg«, sagte Leander und legte seine kleine Stirn in ernste Falten.

»Warum meinst du das?«, fragte die Großmutter.

»Und dann ist der liebe Gott auch ganz weit weg von uns«, fuhr Leander unbeirrt von ihrer Frage fort, »denn der wohnt ja im Himmel.«

»Der wohnt im Himmel«, bestätigte ihm die Großmutter.

Das Kind überlegte eine Weile. Dann fragte es: »Du, Großmutter, wie viele Kilometer sind es bis zum Himmel?« Da schüttelte die Großmutter den Kopf und sagte: »Nein, bis dahin sind es keine Kilometer. Der Himmel ist viel näher.«

»Wie nahe denn?«

Leander wollte es gern ganz genau wissen.

»Ich will dir etwas erzählen«, lächelte die Großmutter, »dann kannst du es selbst ganz genau herausfinden.

Damals, als der liebe Gott die Blumen machte, fragte er eine jede von ihnen, was sie denn gern hätte: schöne farbige Blüten, bezaubernden Duft, einen mächtigen Stamm – es gab vielerlei, was sie sich auswählen konnten.

So kam er auch zu einem Blümlein, das war so scheu, dass es fast nicht wagte, dem lieben Gott auf seine Frage zu antworten, und außerdem war es sich nicht sicher, ob es nicht zuviel begehrte.

Endlich aber flüsterte es leise: ›Es ist mir egal, wie ich auf der Erde aussehe. Aber ich wäre so froh, wenn sich meine Blüten im Himmel öffnen dürften.‹

Beschämt schaute es zu Boden. Der liebe Gott aber nickte nur freundlich. Dann flüsterte er mit den Engeln, die ihm halfen, die Blumen anzuziehen.

Da machten sich die Engel eifrig ans Werk. Weil die Blüte des Blümleins sich im Himmel öffnen sollte, beschlossen sie, ihr das Aussehen eines Sternes zu geben. Aus dem weißen Stoff, aus dem vielleicht auch ihre eigenen Gewänder geschneidert werden, schnitten sie zahllose kleine Blütenblätter.

Doch sie vergaßen in ihrem Eifer zu verabreden, aus wie vielen Blütenblättern die Sternenblüte gebildet werden sollte. So nahm der eine Engel fünf, der andere sechs, ein dritter gar sieben Blätter dafür. In die Mitte taten sie eine winzig kleine goldene Sonne. Schließlich kamen noch der Stängel und feine grüne Blätter dazu. Dann war das Blümlein fertig und gleich noch viele Geschwister dazu.

Der liebe Gott aber segnete sie und machte, dass sie in großer Schar auf dem Waldboden wuchsen, denn von solchen Blümlein, an denen die Menschen ablesen können, wie weit genau es bis zum Himmel ist – nämlich so weit wie von der Wurzel des Blümleins bis zu seiner Blüte –, von solchen Blumen konnte es gar nicht genug geben.«

Als die Großmutter ihre Erzählung beendet hatte, nahm sie Leander bei der Hand und sagte: »So, und nun wollen wir in den Wald gehen und nach dem Blümlein schauen.«

Und welche Blume zeigte die Großmutter dem Jungen? Sie zeigte ihm die Anemone, das Buschwindröschen.

»Aber die hat ja einen ganz kurzen Stängel«, wunderte sich Leander, »kaum länger als mein Finger.«

Die Großmutter nickte ernst. »So ist es, mein Kind. So nah kommt der Himmel zu uns, bis hinunter auf unsere liebe Erde. Hättest du das wohl gedacht?«

Das Bild von Lisa zur Geschichte vom letzten Sonntag: Vom Kind, das ging, Hilfe zu holen
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Ich bin der gute Hirte

Johannes 10, 1-16, 26. April 2020 in der Übersetzung von Tom Tritschel

Amen, amen, das sage ich euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirte der Schafe. Ihm öffnet der Türhüter und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus.

Wenn er alle seine Schafe hinausgeführt hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber folgen sie nicht, sondern sie fliehen vor ihm, weil sie die Stimme des Fremden nicht kennen. Dieses Gleichnis erzählte ihnen Jesus; aber sie verstanden den Sinn nicht dessen, was er ihnen gesagt hatte.

Weiter sprach Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch:

Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden.

Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu töten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und Überfülle des Lebens. Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirte ist und dem die Schafe nicht gehören, lässt die Schafe im Stich und flieht, wenn er den Wolf kommen sieht; und der Wolf reißt sie und jagt sie auseinander. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm nichts an den Schafen liegt.

Ich bin der gute Hirte; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe.

Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird einst sein eine Herde – ein Hirte.