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Geschichte für den Sonntag, 4. April 2020

von Georg Dreißig aus dem Buch: Wenn ich ein König wär‘

Wenn ich einst Same bin

Drei Tage vor dem Passahfest war der reiche Kaufmann Jethro, der ganz plötzlich gestorben war, zu Grabe getragen worden, und alle Bewohner von Nazareth waren mitgegangen. Auch das Jesuskind war dabei gewesen und hatte alles, was geschah, aufmerksam beobachtet.

Am nächsten Tag schien die Sonne so warm, als hätte der Frühling beschlossen, sich jetzt ein bisschen zu beeilen. Da ging die Mutter Maria hinaus in den Garten, um ein Frühlingsbeet anzulegen, und der Knabe half ihr dabei. Erst machten sie die Erde schön locker und dann kniete sich der Jesusknabe hin und bohrte mit dem Zeigefinger kleine Löcher in die Erde. Dort hinein wollten sie die Samen streuen, kleine kräftige Körner, die das Kind schon in seiner Linken hielt.

Während er so arbeitete, fragte der Jesusknabe auf einmal die Mutter Maria: „Wie machen es die Samen eigentlich, dass sie so große Blumen werden? Woher nehmen sie das alles; die Wurzel und den Stängel und die vielen, vielen Blätter? Sie sind doch so klein.“

„Sie nehmen die Erde dazu“, antwortete Maria, „aus Erde, Wasser, Luft und Licht werden dann die Blumen.“

Der Knabe arbeitet fleißig weiter. Dann sagte er: „Dann sind die Blumen verwandelte Erde, und der Same sagt ihr, wie sie es machen soll.“

Er bohrte die letzten Löcher, dann war er fertig.

„So“, sagte das Kind und wischte sich mit der Rechten über die kleine Stirn, „jetzt können wir sie begraben.“

„Begraben?“, lächelte Maria. „Einsäen wollen wir die Samen.“

„Das ist doch dasselbe“, erklärte der Jesusknabe. „Der Kaufmann Jethro haben sie doch auch begraben.“

Was sollte die Mutter Maria darauf erwidern? Sie schwieg verwundert und half dem Kind, die Samen in die vorbereiteten Löcher zu streuen und sie dann wieder mit Erde zuzudecken. Danach durfte der Knabe das Beet vorsichtig begießen. 

„So, nun sind wir fertig“, sagte Maria, „alles Weitere müssen wir der Sonne, dem wind und dem Regen überlassen.“

„Und den Samen und der Erde“, ergänzte das Kind.

„Und den Samen und der Erde“, nickte Maria.

Sie wollte hineingehen, aber der Jesusknabe stand noch wie angewurzelt da und schaute sinnend auf das Beet.

„Denk dir nur, Mutter“, sagte er bedächtig, „wie sie jetzt die Erde verwandeln, dass sie einfach zum Himmel wachsen muss. Und dann erblüht sie auch noch. Ist das nicht schön?“

„Sehr schön ist das“, sagte Maria. Sie freute sich an der Freude des Kindes.

„Wenn ich einmal in die Erde gesät werde“, fuhr der Knabe fort, „dann sage ich ihr, dass sie ganz hoch zum Himmel hinaufwachsen soll und dass sie da erblühen soll wie eine Sonne, genauso strahlend und hell. Ob sie das tut?“

Maria lauschte den Worten des Kindes voller Staunen, und sie begann, etwas von dem Großen zu ahnen, dass dieses Kind einst vollbringen würde.

Der Jesusknabe aber beantwortete selbst seine Frage: „Sie wird es schon tun. Wenn ich Same in der Erde bin und ihr sage, sie soll sich zu einer Sonnenblüte verwandeln, dann wird sie es tun, Mutter. Ganz gewiss.“

***

Anregung: In einer Schale mit Erde Weizenkörner aussähen, mit Erde bedecken und auf das Ostergras warten – ab und zu das Gießen nicht vergessen …

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