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Geschichte für den Sonntag, 29. März

von Georg Dreißig aus dem Buch: Wenn ich ein König wär‘

Das tote Holz

Josef sollte für einen reichen Bauern eine neue Scheune bauen. Das Jesuskind hatte seinen Vater begleitet und ihm eine Weile bei der Arbeit zugesehen. Dann aber machte er sich nach Knabenart daran, den Gutshof zu erkunden. Was für ein herrschaftliches Haus der Bauer hatte und was für prächtige Stallungen und Scheunen! Und zwischen den Häusern gab es viele Beete, die allerdings, da es früh im Jahr war, noch kahl waren.

Während der Jesusknabe sich umschaute, sah er, wie eine alte Frau zum Eingang des Wohnhauses hinaufstieg. Sie stützte sich auf einen dürren hölzernen Stecken. In der Hand hielt sie eine Bettlerschale. Zögernd klopfte sie an die Tür. Der Bauer selbst öffnete ihr. Missmutig betrachtete er die magere Alte, schüttelte unwillig den Kopf und rief so laut, dass seine Worte weithin zu vernehmen waren: „Und ich sage dir, Mutter, dass es für dich mit der Bettelei an meiner Tür vorbei ist.“

Die Alte musste wohl versucht haben, ihn zu erweichen, denn plötzlich entriss der Bauer ihr den dürren Holzstecken und stieß ihn in ein Beet zwischen lauter kahle Rosenstöcke.

„Hier ist erst wieder etwas zu holen für dich“, polterte er, „wenn dein Stecken mir Rosen trägt.“ Dann ging er, ohne die Alte noch einmal anzublicken, an ihr vorbei und schlug die Tür zu.

Der Jesusknabe sah der Frau nach, die, ihres Steckens beraubt, mühselig Fuß vor Fuß setzte, und er war dem Weinen nahe. Doch auf einmal besann er sich, eilte zu Josef und rief: „Vater, Vater, komm schnell. Ich muss dir etwas zeigen.“

Weil das Kind so drängte, ließ Josef die Arbeit ruhen und ging mit ihm. Der Jesusknabe führte ihn zu dem Rosenbeet, wies auf den dürren Stecken und fragte: „Wann meinst du, Vater, wird der Stecken Rosen tragen?“

Josef musterte den Knaben erstaunt. Dann schüttelte er den Kopf: „Dieser Stecken ist dürr und tot. Aus dem sprießt niemals mehr ein Blatt hervor, geschweige denn Rosen.“

„Er muss aber doch Rosen tragen“, rief das Kind, und jetzt rannen ihm die Tränen über die Wangen. Weinend trat er zu dem dürren Stecken, streichelte ihn und sprach: „Nicht wahr, für die arme Bettelfrau trägst du dem reichen Bauern Rosen.“ Dabei benetzten die Tränen des Knaben das tote Holz.

Denkt euch: Dort, wo die Tränen des Kindes das Holz berührten, schlugen auf einmal Zweige aus, die Blätter und Knospen trugen. Josef meinte, er könne seinen Augen nicht trauen.

Der Knabe aber eilte die Steinstufen hinauf und trommelte mit den Fäusten so laut gegen die Tür, dass der Bauer erschrocken angelaufen kam, weil er meinte, es sei ein Unglück geschehen.

„Schau, Bauer“, rief er atemlos, „morgen wird der Stock dir die ersten Rosen tragen. Jetzt darf die alte Frau wieder zu dir kommen, und du gibst ihr zu essen, nicht wahr?“

Der Bauer sah den dürren Stecken und die Zweige daran mit den dicken Knospen, die bald aufspringen würden. Dann musterte er das Kind voller Staunen. Sprechen konnte er vor Verwunderung nicht. So nickte er nur. Inwendig aber schämte sich der reiche Bauer. Er schämte sich, dass das tote Holz sich erst erweichen musste, ehe auch sein Herz für die Not seiner eigenen Mutter erweicht wurde.

***

Anregung: Im Wald grüne Zweige schneiden und Blumen suchen, aus den Zweigen ein Kreuz binden und aus den Blumen einen Kranz – den Kranz um das Kreuz legen.

Oder das Kreuz in einen größeren Blumentopf mit Erde stecken und den Kranz über das Kreuz hängen (später kann man in diesen Topf den Weizen für das Gras säen).